Büşra Kayikçi

„Auf gewisse Weise entwerfe ich als Komponistin einen Ort, und die Zuhörer*innen gehen darin umher, bewegen sich in seiner Architektur.“
Zwar wuchs Büşra Kayıkçı in ihrer Geburtsstadt Istanbul mit Musik auf, lernte Klavier als Neunjährige, tanzte Ballett und ging auf eine Wochenend-Kunstschule. Doch sie entschied sich nach der Schule für ein Studium der Innenarchitektur und Environmental Design an der Universität, drei Jahre arbeitete sie im Beruf. „Architektur zu studieren hat mir einen neuen Blick auf Kunst ermöglicht“, sagt sie – schlussendlich fand sie aber die kreative Freiheit, nach der sie eigentlich die ganze Zeit gesucht hatte, in der Komposition. Inspiriert von Komponisten der modernen Klassik, wie John Cage und Michael Nyman schrieb sie ihre ersten Werke 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie. Im November desselben Jahres veröffentlichte sie in Eigenregie die Single Doğum (Türkisch für „Geburt“) und anschließend ihr Debütalbum Eskizler. Zu ihren bisher bedeutendsten interdisziplinären Projekten gehört ihre Zusammenarbeit mit dem New York Theatre Ballet im Jahr 2020, wo die Choreografin Melissa Toogoodauf Grundlage von Kayıkçıs Musik ein zeitgenössisches Tanzstück kreierte.
Büşra Kayıkçıs neues Album Places ist eine Fortsetzung und Vertiefung ihrer ersten kompositorischen Skizzen und Studien aus dem Jahr 2019, die damals auf ihrem Debüt erschienen sind. Kayıkçıs Ansatz, vor fast vier Jahren wie auch jetzt auf diesem Album, ist auf gewisse Weise synästhetisch – oder anders gesagt: Ihre Idee, Musik und Architektur zu verbinden, geht über rein interdisziplinäres Denken weit hinaus.
In Eskizler hat Büşra Kayıkçı ihre Klavierstücke entworfen wie Skizzen – mit dem neuen Album Places geht sie noch einen Schritt weiter: „Im Studium haben wir gelernt, bevor wie einen ersten Strich zeichnen, eine Geschichte zu schreiben“, erzählt sie. „Was soll das für ein Ort sein? Wer wird sich dort aufhalten? Wie lange halten die Menschen sich dort auf? Wir haben ausführliche Texte geschrieben, die uns geleitet haben.“ Vier Jahre nach ihrem Debüt nun dreht die Komponistin die Methode um und fasst Orte in Musik, die sie inspirieren: „Die Stücke sind während der Corona-Lockdowns entstanden“, sagt sie. „Ich war eingesperrt – und habe mich an Orte geträumt, nach denen ich mich gesehnt habe.“
Orte sind dabei für Kayıkçı aber nicht nur physische Räume: Ein Song wie Radioheads Pyramid Song, auf den sie sich in Tribute To Egyptian Song bezieht, oder menschliche Emotionen und Verhaltensweisen sind für die Komponistin genauso verortbar wie spirituelle Bauwerke, die Küste oder Olivenbäume.
Räume, das ist für Büşra Kayıkçı entscheidend, bekommen für sie erst dadurch eine Bedeutung, dass sie besucht und belebt werden, dass Menschen in ihnen sind. Dabei haben für Kayıkçı musikalische und architektonische Räume vor allem eine Gemeinsamkeit: Sie wurden von jemandem entworfen und konstruiert. Während das eine physisch existiert, ist das andere in Zeit gebunden – es entwickelt seine Gestalt gewissermaßen horizontal, während des Gespieltwerdens, während des Gehörtwerdens.
Die Stücke auf Places folgen Prinzipien, die Büşra Kayıkçı aus der Architektur auf ihr kompositorisches Arbeiten übertragen hat: Um einen Raum stimmig zu designen, lernte sie zunächst die Farben, Formen und Materialien auszuwählen, um sie dann miteinander zu kombinieren. In ihrer Musik definiert sie auf dieselbe Weise Harmonien, Melodien, Themen und Motive, Form und Tonmaterial als modulierbare Versatzstücke, um sie miteinander zu verbinden, sie gegeneinander zu gewichten und in eine Balance zu bringen. „Ich komponiere immer am Klavier“, sagt Kayıkçı. „Und ich schreibe ein Stück erst auf, wenn es fertig ist.“ Selbst einzelne Ideen zu den Stücken auf Places notierte sie nicht unmittelbar, sondern wartete ab, woran sie sich am nächsten Morgen noch erinnerte: „Was dann noch in meinem Kopf ist, ist der Weg, den ich mit dem Stück weitergehen kann.“ Anders als auf Eskizler setzt Kayıkçı bei Places Industrial Sound Designs und elektronische Akzente ein.
Wir freuen uns mit Büşra Kayıkçı am 13. Februar 2024 in ihre musikalischen Räume einzutauchen und finden ein architektonisch so durchdachter Raum, wie der Kleine Saal der Elbphilharmonie, ist dafür der perfekte Ort.